Veröffentlicht in "Motz" Straßenzeitung vom 23.2.2001

Ist der Begriff Zwangsarbeit durch den Nationalsozialismus besetzt?

Meine Antwort: Nein. Um was geht es? Um die derzeitige Bedeutung des Wortes "Zwangsarbeit", also um den Gebrauch dieses Wortes in unserer Sprache. Als Vergleichsbeispiel eines eindeutig durch die Nazis besetzten Wortes sei auf das Wort "Konzentrationslager" hingewiesen. Wer es verwendet und damit irgendetwas beschönigen möchte, indem er sich darauf beruft, es sei vor den Nazis von den Engländern im sog. Burenkrieg verwendet worden, versucht von der tatsächlichen Bedeutung dieses Wortes abzulenken: Es verweist nur noch auf die Bedingungen umfassender Entmenschlichung in diesen Institutionen des Nazi-Terrors.

Bei dem Wort Zwangsarbeit liegen die Verhältnisse völlig anders: es wird nach der Nazizeit wie vor der Nazizeit dafür gebraucht, um Arbeitsverhältnisse zu charakterisieren, in denen durch die Drohung mit einem besonderen Übel, z.B. mit Androhung von Schlägen, Nahrungsentzug, Entwürdigung, anderen Einschüchterungen, ja möglicherweise sogar mit Morddrohung, die Arbeitsleistung erpresst wird. Ohne Zweifel entwickelten die Nazis Verschleppung und Zwangsarbeit in ihrer modernen und bösartigsten Form, ja sie gipfelte in dem Zynismus: "Arbeit macht frei" am Eingangstor verschiedener Konzentrationslager. Aber der Begriff Zwangsarbeit ist auch für erpresste Arbeit z.B. in sowjetischen Straflagern oder "Erziehungs"lagern im Kambodscha der 70er Jahre zutreffend. Kein anderes Wort aus unserem Sprachschatz ist dafür gebräuchlich.

Die Ablehnung, das Wort "Zwangsarbeit" für unsere Verhältnisse heute zu verwenden, reklamiert, daß damit die umfassende Entmenschlichung der ZwangsarbeiterInnen durch die Nazis verharmlost würde. Wenn deren Terrorisierung, deren mörderische Absichten -totarbeiten lassen-, mit heutigen Bedingungen gleichgesetzt würde, wäre das selbstverständlich eine maßlose Übertreibung zu polemisch/ideologischen Zwecken. Heute wird vom Staat niemand verschleppt und mit unmittelbarer Gewalt, Morddrohung oder Körperverletzung und/oder Freiheitsberaubung zur Arbeit gepresst (mal von Knast und Arbeits"therapie" in den Anstalten abgesehen). Deshalb sollte vielleicht durch den Zusatz "Nazi"-Zwangsarbeit der Unterschied deutlich gemacht werden. Aber der Schluß, daß der Begriff deswegen völlig dem Nazijargon zuzurechnen sei, geht ins Leere, da kein anderes Wort das bezeichnet, was "Zwangsarbeit" zum Ausdruck bringt: die Erpressung zu befohlener - nicht selbst gewählter - Arbeit mit Hilfe der Androhung eines besonderen Übels, insbesondere durch staatliche Gewalt.

In der Logik dieser Analyse ist es allerdings gerechtfertigt, auch bei uns heute von Zwangsarbeit zu sprechen, wenn mit Hilfe von § 25 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) Sozialhilfeempfängern die Hilfe zum Lebensunterhalt, ja sogar das Wohngeld gekürzt wird, um sie zu einer "gemeinnützigen" = Staatskasse-entlastenden und anderer Arbeit zu zwingen. Diese Kürzungen gehen sogar bis zur völligen Verweigerung aller Zahlungen, was zynischerweise dann Kürzung um 100% genannt wird, um das zutreffende Wort "Steichung" zu vermeiden. Wenn man trotz dieser Drohung die Arbeit nicht antreten sollte -man merkt schon den Kasernenton-, ist man zum Betteln oder Verhungern gezwungen.

Also ist das Verhalten der Sozialämter eine Erpressung zu nennen, denn Betteln ist in unserer Kultur entwürdigend, wenn nicht sogar geahndet. Durch den Katalog von Strafmaßnahmen des § 25 BSHG wird die sog. "gemeinützige Arbeit" zur Zwangsarbeit. Der Vorschlag, statt Zwangsarbeit das Wort Arbeitszwang zu verwenden, verkennt, daß "Arbeitszwang" eine gänzlich andere Bedeutung hat: Ein Zwang zu arbeiten kann sehr wohl auch von dem Betroffenen aus sich selbst heraus verspührt werden (z.B. sog. "Workaholic), während Zwangsarbeit immer eine von anderen aufgezwungene Arbeit ist. Als Arbeitszwang könnte die gesamte protestantische Arbeitsethik verstanden werden!

Die von den "Hängematten" und von den "Futuristen" initiierte Kampagne gegen den § 25 BSHG ist eine Kampagne für eine Befreiung von der aktuellen Form der Zwangsarbeit. Selbstverständlich soll werden, daß auch diejenigen, die sich jeder Arbeit verweigern, ein allein schon durch ihr Menschsein definiertes Anrecht auf ein würdiges Leben haben: auch wer nicht arbeiten will, muß essen dürfen. Durch Verwirklichung dieser Forderung können wir dem unmenschlichen Jargon vom "nutzlosen Esser" entkommen, einem angeblich "lebensunwerten Leben", mit dem versucht wurde, den Beginn des systematischen Nazi-Massenmordens zu rechtfertigen.

In einer gewissen Polemik, will ich noch weiter gehen und die Frage -vielleicht übertrieben- zuspitzen: der dargestellte Gebrauch des Wortes "Zwangsarbeit" ist der in unserer Sprache übliche. Wenn versucht wird, diesen Gebrauch zu leugnen, geht es um eine "Verbiegung" der Sprache, was ein legitimer Versuch der politischen Einflußnahme ist und bestimmten Interessen zugute kommen soll. Und dazu soll vermerkt werden, es ist ein inner-Linker Streit. Meine These ist: es ist ein Streit zwischen einer autoritären etatistischen und einer antiautoritären "Linie".

Wenn versucht wird, heute das Wort Zwangsarbeit durch Arbeitszwang zu ersetzen, dann ist als Prämisse in diesen Versuch eingegangen, daß die Bezahlung von Überlebens-Sozialhilfe an eine "Gegenleistung" gebunden ist - die Arbeitsbereitschaft -, die eben auch Arbeitszwang genannt wird. Darin steckt die Anerkennung, daß in dieser Welt gearbeitet werden muß, um sich Lebensmittel (in einem umfassenden Sinne) zu verschaffen. Damit geht einher, eine Vertauschung der Begriffshierarchie Würde - Mensch - Arbeit.

"Die Würde des Menschen ist unantastbar "(§1 GG), also ist Würde dem Mensch-Sein vorausgesetzt; dagegen steht ein Verständnis von Mensch-Sein als einem zielgerichtet produktiven Wesen, das durch Arbeit Würde erlange. Genau an dieser Stelle hat auch die Falle des Marxismus zugeschnappt - als einer Kritik, die in erster Linie Produktionsverhältnisse im Auge hat. Und das ist spätestens heute Betrug, wo die Traktoren GPS gesteuert von alleine die Felder bestellen.

René Talbot

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