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ernfrage des bGE - Recht auf Faulheit

Vortrag von Sylvia Zeller und René Talbot bei der Projektgruppe bGE der SPD Tempelhof-Schöneberg, Berlin am 26.11.2009

Auch wenn es überraschen mag, aber das Recht auf Faulheit ist seit ca. 130 Jahren eine offene Forderung in der Arbeiterbewegung. 1883 veröffentlichte Paul Lafargue eine Streitschrift [vollständig im Internet veröffentlicht] mit diesem Titel. Paul Lafargue war durch seine internationale und insbesondere französische Aufbauarbeit für die sozialistische Arbeiterbewegung eine bemerkenswerte Figur in der damaligen Zeit. Sie brachte ihn in die Nähe von Karl Marx, dessen Tochter Laura er heiratete. Der in der Junirevolution 1848 aufgestellten Forderung eines Rechts auf Leben, das leider sehr schnell zu einem Recht auf Arbeit transformiert wurde, stellte Lafargue in seinem Buch das Recht auf Faulheit entgegen. Er hatte erkannt, dass das Recht auf Arbeit eigentlich eher eine reaktionäre Forderung ist.

Proklamation des Jahrhunderts der Parasiten

An der Frage des Konsums, nicht der Produktion, offenbart sich das tatsächliche Problem: Ob oder ob nicht die "Faulen" durch Transferleistungen unterstützt werden sollen, die, die nicht arbeiten wollen, zumindest nicht zu den angebotenen Bedingungen.

Eine Verschiebung des Blicks von der Produktions- zur Konsumptionsweise würde die Augen dafür öffnen, unter welchem Diktat der protestantischen Arbeitsethik die Moderne stand: Die Arbeit sollte "gleichmäßig" verteilt sein, das sich krümmen, ein- und unterordnen, die Mühsal, Pflicht und Disziplinierung – das ist die Hoffnung derer, die Gleichheit in "gemeinschaftlichem Eigentum" fordern, eben nicht die Förderung der Vielfalt unterschiedlichster Konsumentenwünsche, Moden, Luxusbedürfnisse und Eigenwilligkeiten. An diesem Punkt möchten wir betonen: selbstverständlich liegt uns an der gewaltfreien Umverteilung "nach unten", einem "Programm" gegen den konservativen Erhalt der Reichtums- bzw. Armutsverhältnisse. Aber anstatt Rechte zu nehmen, Eigentum zu beschlagnahmen, wollen wir dies dadurch erreichen, daß wir den Wert des in toter Arbeit geronnenen Kapitals verringern, indem durch klassische gewerkschaftliche Auseinandersetzung in Solidarität mit den "Parasiten" die Löhne incl. zunehmender Sozialabgabenanteile gesteigert werden, der Marktwert der Lohnarbeit durch Verknappung des Arbeitsangebots in die Höhe getrieben wird. Der erste Schritt ist dabei das Recht auf Faulheit zu verwirklichen, die Paragraphen abzuschaffen, in denen die Zwangsarbeit festgeschrieben ist. Wir plädieren für die Akzeptanz der Arbeitsunlust als stärkstes Instrument zur Verknappung des Angebots an Arbeitskraft, denn insbesondere das Ressentiment gegen Faule zerstört die Solidarität.

Sozialdemokratische Politik kann nur das Gegenteil zum Ziel haben: Es muss die Möglichkeit gegeben sein, "Nein" zu sagen, eine verantwortliche Entscheidung treffen zu können, um als ziviler Mensch Persönlichkeitsrechte zu haben und nicht nur zum Befehlsempfänger degradiert zu werden. Das Recht wirkungsvoll „Nein“ sagen zu können, ist der Kern aller Freiheit und Selbstbestimmung, notwendige Bedingung für menschliche Würde und Autonomie. Falls es jemandem im Raum noch nicht klar sein sollte, es geht hier um die Einlösung der Versprechen der Artikel 1 und 2 unseres Grundgesetzes.

Mit der Realisierung des Rechts auf Faulheit kommt es historisch zu einem qualitativen Sprung und zu einer Verschiebung des Verhältnisses des Staats zu seinen Bürgern: vordergründig verliert der Staat nur ein paternalistisches Privileg, grundsätzlich allerdings wird der Bürger als Rechtssubjekt drastisch gestärkt.

Es liegt die Frage nahe, warum Artikel 1 und 2 des GG nicht längst eingelöst sind. Vordergründig scheint es ein Problem zu sein, dass dann, wenn alle faul sein dürften, niemand mehr faul sein könnte, weil keine für´s Überleben notwendige Arbeit mehr geleistet würde.

Diese Überlegung ist nur dann zutreffend, wenn unterstellt wird, dass niemand von sich aus arbeiten will. Wäre es so, dann könnte im allgemeinen, wie gesellschaftlichen Interesse nur sein, so schnell wie möglich so viel Arbeit wie möglich zu beseitigen. Jeder Forderung nach Arbeit, Arbeit, Arbeit wäre die Grundlage entzogen, sie wäre absurd. Ganz im Gegenteil dazu soll sie aber helfen, Wahlen zu gewinnen. Der Widerspruch, der sich hier zeigt, ist nur erklärbar durch die tiefe Ambivalenz gegenüber der als Bedrohung in sich selbst verspürten Faulheit (im Kameradendeutsch „der innere Schweinehund“) bzw. durch das Ressentiment der Faulheit anderen gegenüber, die als faul auf der Haut liegend gewähnt werden, während man selber schuftet – also Arbeit selber ganz und gar nicht als lustbringend empfindet. Diese Ambivalenz ist ein Widerschein des inneren Widerspruch der Arbeit gegenüber: wenn sie nur ein Übel wäre, müsste sie nur gemieden werden. Wenn hingegen Arbeit eine Lust wäre, könnte das Ausgangsargument (nicht alle können faul sein) gar nicht angebracht werden.

Eine in der Zeitschrift BRAND EINS 9/2009 veröffentlichte Umfrage macht diesen Zusammenhang besonders sinnfällig, Zitat:
Anteil der Menschen, der versichert, auch mit einem bedingungslosen Grundeinkommen weiterhin arbeiten zu gehen, 90 Prozent.
Anteil der Menschen, der glaubt, andere würden durch ein bedingungsloses Grundeinkommen aufhören zu arbeiten, 80 Prozent.

Die Antwort auf die Frage, warum das bGE eine sozialdemokratische Grundforderung ist, liegt in der Beantwortung der Frage, warum das Recht auf Faulheit Kernfrage eines bBE ist.

Und zwar geht es um den Unterschied zwischen militärischen Gesellschaftsformen, bzw. Befehlsstrukturen und zivilen Gesellschaftsformen. Kennzeichen des Militärischen ist die Unterwerfung unter die unhinterfragbare Autorität bei nahezu Negierung der eigene Wünsche. Logisch einher geht im Militärischen, dass es keine Entscheidung und damit keine Verantwortung für Entscheidungen gibt. Letztlich sind auch die Befehlshaber in einer apparateartigen Maschinenlogik gefangen, um Mitgefühl und moralische Bedenken gegen mörderisches Handeln und eigene Todesängste auszuschalten.

Dagegen kennt das Zivile keine Befehle, sondern Verträge und daraus resultierende, einverständlich eingegangene Konsequenzen. Eine zivile Gesellschaft konzipiert sogar den Staat als Resultat eines Gesellschaftsvertrags, auch wenn die darin Hineingeborenen eigentlich nicht zugestimmt haben. Auf alle Fälle gibt es dabei handelnde Subjekte, die nach jeweils eigenen Maßstäben Rechte und Pflichten verhandeln, und zum jeweils eigenen Vorteil vereinbaren. Verträge können nur funktionieren, wenn das Machtgefälle zwischen den Vertragspartnern nicht all zu groß ist. Obwohl Verträge nur dazu da sind, gehalten zu werden, könnte der Stärkere sonst sehr wohl die vertraglichen Vereinbarungen mißachten, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen. Ein ziviles Anliegen ist also, auch die Durchsetzung von vertraglichen Vereinbarungen zu gewährleisten, weil dadurch vertragliche Vereinbarungen insgesamt gestärkt werden. Ein starkes Argument für einen Gesellschaftsvertrag mit einer Monopolisierung der Gewalt.

Von Vertragsfreiheit kann aber dann nicht mehr die Rede sein, wenn einer der Vertragspartner in einer Notlage ist. Er kann nicht mehr „Nein“ zu diktierten Bedingungen sagen. Ein solches unziviles Machtgefälle ist in Lohnarbeit nahezu konstituierend festzustellen. Beim Arbeitsvertrag hat der Lohn- und Gehaltsabhängige nur seine Arbeitskraft zu verkaufen, hingegen ist der Eigentümer von Produktionsmitteln privilegiert und hat als Vermögen die Produktionsmittel zusätzlich zu seiner Arbeitskraft. Insofern macht es Sinn, dass Marx diese Ungleichheit als Klassenverhältnis benannt hat. Es sind nur dem Schein nach Vertragsverhältnisse. Tatsächlich handelt es sich um eine Befehlsstruktur mit nötigendem Charakter.

Mit dem Recht auf Faulheit bzw. einen bGE wird Vertragfreiheit eigentlich erst hergestellt. Die Möglichkeit „Nein“ zu sagen, ohne mit einem besonderen Übel bedroht zu sein, ist notwendige Bedingung dafür.

Wenn bei einem bGE von Bedingungslosigkeit die Rede ist, um was geht es dabei? Wir meinen, die wesentliche Forderung ist, dass Arbeitsbereitschaft keine Bedingung für monetäre Transferleistungen sein darf und die wird auch am meisten umkämpft sein. Die Nicht-Offenlegung der persönlichen, insbesondere finanziellen Verhältnisse ist demgegenüber keine so basale Frage. Sie ist nicht notwendig für das Recht auf Faulheit, wohl aber für das bGE.

Das Recht auf Faulheit scheint aber mit dem Tauschprinzip und dem Leistungsprinzip zu brechen. Dies trifft allerdings nur für eine individualisierte Betrachtung zu. Die individuelle Option, nicht zu angebotenen Bedingungen arbeiten wollen zu müssen, könnte aber sehr wohl auch als Versicherungsleistung der Lohn- und Gehaltsabhängigen untereinander konzipiert werden.

In solch einem Konzept wird der Staat gewissermaßen rausgekürzt, er hat nur die Funktion eines „Notars“ der Versicherungsgemeinschaft der Lohn- und Gehaltsabhängigen. Resultat dieser Überlegungen ist, dass das Recht auf Faulheit bzw. bGE zu einem Mittel der Klassenauseinandersetzung wird, ja in das Reich der Freiheit jenseits des Reichs der Notwendigkeit hineinreicht und damit antiautoritäre Sozialismus-Utopien praktisch werden lässt.

Vorteilhafterweise wirkt sich diese Konzeption für die Lohnabhängigen höchstwahrscheinlich günstig auf die Preisbildung am Arbeitsmarkt aus, denn je höher das bGE ist, um so mehr Angebot wird dem Markt entzogen und damit steigt der Wert der Arbeitskraft als Ware, zumindest aber wird unangenehme Arbeit relativ teurer. Und bei etwas, was Freude bereitet, kann man vielleicht auch am ehesten auf eine hohe Entlohnung verzichten.

An dieser Stelle möchten wir betonen, warum wir diesen Vortrag hier halten. Hier, als Teil sozialdemokratischen Engagements. Die erste Internationale hat 1872 die Arbeiterbewegung, die Emanzipationsbewegung der Unterdrückten und Beleidigten, in Anarchisten und Sozialisten/Kommunisten gespalten. Tendenziell wollten die Anarchisten das Gewaltmonopol beseitigen, die Kommunisten es erobern, vorgeblich, um es später zu beseitigen. Beide nahmen für sich in Anspruch, die Freiheit des Einzelnen sei die Bedingung für die Befreiung aller. Wie steht es dabei aber um die Freiheit der derzeit Herrschenden, mit anderen Worten, welche gewaltsamen Mittel ist man bereit, im Namen der Freiheit anzuwenden? Die revolutionäre Antwort ist revolutionäre Gewalt. Nur sie scheint eine rasche Veränderung zu gewährleisten und den Hass auf die Unterdrücker zu befriedigen.

Hingegen scheuten die „Ängstlichen“ einen radikalen Umsturz der Verhältnisse. Sie akzeptierten die politischen Regeln der bürgerlichen Gesellschaft, um innerhalb dieses Rahmens Spielräume evolutionär zu nutzen. (Innerhalb der Sozialdemokratie brachen mit diesem Konzept z. B. Noske.)

Unser Konzept vom Recht auf Faulheit schließt bündig an diesen evolutionären Weg an, weil nicht die Expropriation der Expropriateure, die Ausbeutung der Ausbeuter, verfolgt wird, sondern nur eine Steigerung der Tarife, zu denen die Lohn- und Gehaltsabhängigen insgesamt ihre Arbeitskraft verkaufen. Die dafür entscheidende neue Qualität ist die Beseitigung des Zwangs, arbeiten wollen zu müssen. Statt über den Umweg einer Enteignung der Produktionsmittelbesitzer soll damit direkt das Reich der Freiheit, insbesondere für Lohn- und Gehaltsabhängige, seien sie freigestellt oder eingestellt, angesteuert werden.

Damit schließen wir an an Karl Kautsky. Für ihn führte das Recht auf Arbeit direkt „ins Arbeitshaus“. Revolutionär und „Grundlage jeder ernsthaften Sozialreform“ sei allein die Proklamation des „Rechts auf Faulheit“, auf Freizeit und Genuß, „auf freie Betätigung der körperlichen und geistigen Kräfte in Spiel und Übung, in Kunst und Wissenschaft“. (Karl Kautsky, Das Recht auf Arbeit. In: Die Neue Zeit. Revue des geistigen und öffentlichen Lebens, 2. Jg. 1884, Heft 7, S. 303; gefunden von Wolfgang Engler, „Bürger, ohne Arbeit“)

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